26.09.2015

Projekt Eagleclaw Kapitel 4: Im Zauberschoss


Ein Einblick in das Leben im Zauberschloss


Eine Woche lebte Lukas inzwischen in meinem Schloss. Die meiste Zeit hatte er mit Erkundungen verbracht, wenn sie nicht beschäftigt waren, führten Lyra und Morro, meine Kinder, die nur etwas älter als er waren, ihn umher. Ich selbst hätte mir mehr Zeit für ihn nehmen müssen, nur konnte ich angesichts der Zwischenfälle durch Phantomreiter keine entbehren. Am liebsten trieb er sich in meiner Bibliothek herum; ich glaube, er suchte nach Büchern, die ihm das Zaubern beibringen können.
Am letzten Abend der ersten Woche saß er mit Nighty auf der von Blumen umgebenen Bank im Schlossgarten, auf der ich damals Stella erzählt hatte, wie meine Eltern umgekommen waren. Zuerst sprachen sie über die Bücher, die der Junge laß, aber schnell merkte der Finsterling, dass etwas seinen Gegenüber bedrückte: "Was ist mit dir los? Fühlst du dich immer noch nicht zu Hause?" "Nein, alles in Ordnung Nighty.", wollte Lukas ihn abwimmeln, aber als er keine Anstalten machte, das Thema zu wechseln, hielt er die Stille nicht mehr aus. "Ich frage mich nur, warum ich hier bin? Meine Verwandschaft zu Wintus ist angeheiratet und weitreichend, wieso also bin gerade ich ihm so wichtig? Kein anderer Mensch in meinem Alter ist hier!"
Nighty überlegte einen Moment, dann sagte er, bemüht weise: "Es geht nicht um die Situation, durch die du hierher gekommen bist, sondern um das, was du verloren hast. Die übrigen Kinder, die Opfer eines derartigen Angriffs wurden, haben ihre Familie noch, du hingegen hast nur noch einen Onkel, der an nichts anderes als seinen eigenen Vorteil denkt. Wahrscheinlich tust du ihm Leid." "Aber warum beachtet er mich dann kaum?", wollte Lukas wissen. Nighty schien überrascht, als wäre das völlig offensichtlich. "Er hat eben viel zu tun. Denk nicht, dass es einfach wäre, ein solches Schloss zu leiten. Außerdem hat er auch noch Pflichten als Kontaktmann zwischen Menschen und magischen Wesen und ist das jüngste Mitglied im Rat der Weisen, das sie je aufgenommen haben. Aber eins kannst du mir glauben, selbst wenn wir den genauen Grund nicht verstehen: Du bist ihm unglaublich wichtig!"
Lukas lächelte seinen Freund dankbar an und sagte spaßeshalber: "Für ein dunkles Wesen bist du unheimlich nett!" Nun war es Nighty, der in die Stille lächelte. Nach einer Weile sagte er: "Hör mal, Junge. Was ich dir jetzt sage, dürftest du nicht wissen, aber ich denke, du hast ein Recht, es zu erfahren: Die Phantomreiter sind in Aufruhr. Der Angriff auf dein Lager war nur der Anfang, wir haben mit immer mehr solcher Zwischenfälle zu kämpfen. Es heißt, ihr König sucht nach jenen, die es wissen, und frag mich jetzt bloß nicht, was das heißt. Jetzt werden Stimmen laut, die behaupten, wir seien der Situation nicht mehr gewachsen. Für Wintus ist es am schlimmsten; sie geben ihm die Schuld für all die Toten. Ich denke, sie erwarten zu viel von ihm."
Während er das erzählte, zogen düstere Wolken auf, und als es zu regnen anfing, gingen sie bedrückt auseinander. Jetzt, da Lukas die Situation besser verstand, war es ihm umso wichtiger, zaubern zu lernen, um im Fall eines Krieges mitkämpfen zu können. Inzwischen hatten Lyra und Morro ihm meine alten Geschichten weitererzählt, und in Verbindung mit seinen eigenen Erlebnissen schienen sie eine Kampfeslust auszulösen, vergleichbar mit dem Gefühl, das ich hatte, als Ethera meinen Meister getötet hatte. Und irgendwann stieß er auf ein Buch, das ihn förmlich anzog: 'Die düstersten Zauber für jedermann' stand auf dem Einband. An dieser Stelle möchte ich anmerken, dass ich in meiner Jugend ebenfalls viel Zeit in der Schlossbibliothek verbracht habe, aber selbst wenn zehn Generationen ihr Wissen vereinen würden, wäre es ihnen nicht möglich, alle Bücher zu kennen.
Gespannt öffnete er es und blätterte es durch. Die meisten Sprüche waren unattraktiv für ihn; Flüche, die kein Sterblicher benutzen würde, aber manche waren ziemlich interessant in seinen Augen. An einem blieb er hängen: 'Befreiung Verfluchter und Wegsperrung Verächteter'. Es schien ganz einfach zu sein, man musste nur einen Kreis aus Kerzen aufstellen und eine kurze Formel aufsagen. Zur Wegsperrung musste das Zielobjekt in den Kreis geführt werden, zur Befreiung sollte der Kreis an dem Ort aufgestellt werden, an dem einst jemand verflucht wurde. "Und wer sollte schon in dieser Bibliothek verflucht worden sein?", dachte Lukas, und begang den größten Fehler seines Lebens.

Ein Beitrag von Justin(23)

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